Beziehungen gestalten - wie geht das?

Beziehungen gestalten - wie geht das?
 

Beziehungen gestalten - wie geht das?

 

Mit Kopf, Herz und Hand: 100 Freiwillige engagieren sich in den Betrieben der Stiftung Diakoniewerk Neumünster – Schweizerische Pflegerinnenschule und 65 im Schreibdienst der Stadt Zürich. 22 von ihnen schauten sich am 5. April 2022 für drei Stunden genauer an, was geschieht, wenn sie für Stellensuchende einen Bewerbungsbrief schreiben, einem Patienten am Spitalbett zuhören oder mit einer Bewohnerin zum Coiffeur gehen. Was macht es aus, dass wir klarkommen mit unserem Gegenüber? Können wir Beziehungen mitgestalten? Und wie unterscheidet sich die Freiwilligenrolle von der im privaten Bereich?

 

Ein Text von Lea von Brückner

Laure Bamat und Isabelle Decurtins zwei Profis aus dem Bereich Personal-, Organisationsentwicklung und Konfliktberatung, führten versiert und anregend durch die Veranstaltung mit dem Titel «Beziehungsgestaltung in der Freiwilligenarbeit». Sie stellten gleich zu Beginn klar: Beziehungen sind das A und O der Freiwilligenarbeit und des Menschseins überhaupt. Woran liegt es dann, dass uns manche Begegnungen bereichern und andere ganz und gar nicht? Weil mein Gegenüber unsympathisch ist, unzugänglich oder eine andere Wellenlänge hat, würden viele antworten. Die Veranstaltungsleiterinnen liessen es nicht dabei bewenden und lenkten den Fokus gekonnt hin zum eigenen Erleben: Wie fühle ich mich in Begegnungen? Wann ist mir wohl? Wann bin ich überfordert? Was triggert mich?

Die eigene Menschlichkeit als Einflussfaktor

Um solchen doch sehr persönlichen Fragen auf den Grund zu gehen, gab es im zweiten Teil der Veranstaltung zwei Breakout Groups. Hier durfte auf den Tisch, was Freiwilligen bei ihrer Arbeit in die Quere kommt, was sie verunsichert, belastet oder ärgert. Hierzu zwei Beispiele aus der Patientenbegleitung: 

«Meine Aufgabe war, einen neu eintretenden Patienten vom Empfang im Spital Zollikerberg ins Zimmer zu begleiten. Entscheidend ist, dass ich mich dabei wohlfühle, damit ich dem Patienten ein Gefühl von Sicherheit und Aufgehobensein vermitteln kann. Unglücklicherweise war das Zimmer noch nicht bereit und es stand kein Rollstuhl zur Verfügung. Das ärgerte mich und machte mich unruhig, was sich auf mein Gegenüber übertrug. Wie umgehen mit so einer Situation?»

 «Da der Zeitdruck beim Pflegepersonal teilweise sehr hoch ist, kommt das Zwischenmenschliche oft zu kurz. Darunter leiden nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch wir Freiwilligen. Wir möchten gesehen werden und sind angewiesen auf Informationsaustausch. Manchmal entsteht der Eindruck, dass ich als Freiwillige gar nicht erwartet werde und eine Belastung bin fürs Team. Dabei könnte ich mit meinem Engagement das Personal entlasten. Wie liesse sich der Dialog verbessern?»

Wer sich in diesem Prozess traute, näher hinzuschauen, stellte fest, dass der Umgang mit schwierigen Situationen eng mit der eigenen Befindlichkeit, mit hinderlichen Denkmustern und versteckten Glaubenssätzen zusammenhängt. Dieser Perspektivenwechsel entpuppte sich als Chance, denn ein wichtiger Einflussfaktor sind wir selbst. Nur schon, weil wir bei andere Menschen nicht ändern können es auch nicht versuchen sollten. Es tut gut, den Fokus von der äusseren in die eigene innere Umgebung zu lenken. Schauen, dass es einem gut geht und man in meiner Toleranzzone bleibt. Dass man, statt viel zu geben und wenig zu nehmen, selbstbewusst sagen kann: Ich mach das für mich! Vielleicht ist das einer der Schlüssel zu den kleinen Glücksmomenten, die ja durchaus ansteckend sind.

Freiwilligenarbeit sicht- und fruchtbarer machen

Die erste Veranstaltung dieser Art war ein Erfolg. Sie zeigte, dass es viel Zeit, Raum und Fingerspitzengefühl braucht, damit man zu sagen wagt, was man fühlt und denkt. Stiftung und Schreibdienst sind bereits an der Planung weiterer Formate: seien es wiederkehrende und von Profis begleitete Deep Dives in Kleingruppen oder ein Workshop mit Freiwilligen und den Teams auf den Stationen. Egal, in welcher Form es weitergeht, die Motivation bleibt gross, das Engagement von Freiwilligen sicht- und fruchtbarer machen.

Zwei goldene Tipps für beglückende Begegnungen

  • Lass mich spüren, dass ich da bin. Das geht nur, wenn man seine eigenen Gedanken mal loslässt und im Hier und Jetzt landet. Unmittelbare Präsenz ohne Worte wirkt Wunder.
  • Woran bist du gerade? Ich mach mit! Sich einschwingen auf den anderen und gemeinsam etwas anschauen, sei es das Foto neben dem Bett, die Blessuren, das selbstgemachte. Oder gemeinsam den Lebenslauf aktualisieren, einen Bewerbungsbrief schreiben, zusammen lesen, scherzen, einkaufen. Das setzt Glückshormone frei – auf beiden Seiten.